Der Pirnaer Film- und Videoclub geht in Rente
Heute schreiben wir Sonntag, den 17. Januar 2021, einen Tag den man nicht einfach unkommentiert verstreichen lassen sollte.
Genau heute vor 65 Jahren wurde unser Filmclub (heute Pirnaer Film-und Videoclub e.V.) gegründet, ein Laienzirkel, der sich dem Filmen verschrieben hatte. Finanziert wurden wir aus dem Kultur- und Sozialfond des größten Betriebes im oberelbischen Raum, de VEB Entwicklungsbau Pirna, der u. a. Getriebe, Notstromaggregate, Zahnräder und Konsumgüter herstellte. Unser Domizil waren Räume im Schloss Pirna-Sonnenstein, dem heutigen Amtssitzes des Landkreises Sächsische Schweiz Osterzgebirge. Wir drehten auf 16 mm Umkehrfilme (Schwarz-weiß und Farbe). Im Betrieb selbst durften wir nicht filmen, da neben der Flugzeugindustrie auch für die Armeen des Warschauer Paktes produziert wurde. Wir hatten dadurch immer die freie Entscheidung mit welchen Themen wir uns beschäftigen wollten.
Ich trat 1962 in das Filmstudio ein. In dieser Zeit fand im Studio ein Umbruch statt. Werner Reichelt wurde unser neuer Studioleiter (1968), dem wir alle sehr zu Dank verpflichtet sind. Das Filmen war seine große Leidenschaft und er hatte uns als seine „Familie“ auserkoren. Gemeinsam mit ihm erlebten wir große Erfolge aber auch Rückschläge und Enttäuschungen. Aber unser Ziel war es stets durch gemeinsames tun das Besondere zu dokumentieren. So möchte ich heute noch einmal an die sieben unvergesslichen Jahre erinnern, die wir beim Aufbau der Semperoper Dresden erlebten. Wir waren am meisten an dem künstlerischen Werdegang des Wiederaufbaus interessiert. Fasziniert waren wir von den Menschen, die wir dort kennenlernten. Bauarbeiter und Künstler, die teilweise unter widrigen Bedingungen mit so viel Lust und Liebe ihre Arbeit verrichteten, wie ich es in meinem Leben nie wieder erlebt habe. Einige Künstler kamen sogar aus dem Rentenstand, um ihr Fachwissen beim Aufbau der Oper einzubringen. Sieben Jahre haben sieben Mitglieder des Filmstudios ohne Drehbuch gearbeitet, da wir ja nicht wussten was so alles auf uns zukommt. Daraus am Ende einen Film zu machen war eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Ende gut, alles gut - nach Abschluss der komplizierten Montage- und Schnittarbeiten wurde am 27.02.1987 der Gesamtfilm „Semperoper - Bilder einer Chronik“ im Studiotheater des Dresdener Rundkinos uraufgeführt. Wir widmeten diesen Film allen Kollegen auf der Baustelle Semperoper Dresden. Für diesen Film erhielten wir den Kunstpreis des FDGB und drei Goldmedaillen bei den Arbeiterfestspielen. Und mit Stolz können wir heute sagen, dass diesen Film bis zur Wende ca. 10 000 Menschen in unseren damaligen Vorführräumen gesehen haben und von 1994 bis 2009 ca. 1000 Videokassetten bzw. DVD’s unseren Film in der Semperoper verkauft wurden.
Auch andere für uns wichtige Filme waren entstanden. Meistens wählten wir kulturelle Themen aus – wie „Zwingerimpressionen“ (1965); „Ein Jahr im Bienenland“ (1966) „Schäfermeister Weber“ (1968); „Barockgarten Heidenau Großsedlitz - ein nationales Kulturdenkmal“ (1970) „Aller Anfang ist schwer“ (1975); oder „Nostalgisches“ (1977).
Aus dem Alltagsleben filmten wir kleine Beiträge für die Kreisfilmschau. Diese wurden immer als Vorprogramm im UT Lichtspieltheater Pirna gezeigt. Wir waren fleißig und haben auch vieles wie eine Großfamilie gemeinsam unternommen, so Urlaube und die Teilnahme an Filmwettbewerben wie zum Beispiel dem „Brünner Sechszehner“.
Und dann kam 1989 die Wende. Plötzlich hatten wir keine Studioräume mehr und auch die Finanzierung durch den Betrieb fiel weg. Also was tun? Aufhören oder weitermachen? Wir beschlossen weiter zu filmen. Wir zogen bei Werner Reichelt in die Kellerräume und stellten uns den neuen Gegebenheiten als Verein. Es war eine stressige Zeit. Fast alles war neu - im Alltag, auf Arbeit und auch im Filmstudio. Aber nach einiger Zeit fingen wir wieder systematisch an zu arbeiten. Die wichtigsten Filme wurden digitalisiert. Wir begannen auch wieder zu drehen, einige Auftragswerke entstanden, nun bereits mit der Videokamera. Es gab viel zu lernen. Aber auch hier hatten wir Glück. Jörg Viol wurde Mitglied des Filmstudios. Als Computerfachmann sorgte er dafür, dass wir technisch auf einem guten Stand sind und gleichzeitig half er uns „Alten“ die neue Technik besser zu verstehen. Jährlich fuhren wir gemeinsam zu „Sterntreffen“ den Wiener, Reutlinger und Schweizer Filmfreunden, wo auch ein Wettbewerb mit einem Filmthema ausgetragen wurde. So entstanden nette Filme, Spaß hatten wir auch und gelernt haben wir viel, weil die Treffen abwechselnd in dem Umfeld der teilnehmenden Clubs stattfanden. Jeder Club strengte sich natürlich an kulturell Sehenswertes zu zeigen.
So kam das Jahr 2002 heran. In dem Jahrhunderthochwasser in Sachsen wurde unser Filmstudio total zerstört, das Archiv vernichtet. Die jahrzehntelange Arbeit war verloren. Gemeinsam aus eigener Kraft und mit finanzieller Unterstützung durch den Staat und durch Freunde sind wir durch dieses Tal gegangen und haben noch einmal von vorn angefangen. Nach 2003 entstanden einige wichtige Filme wie „Es war einmal“ (2000) (eine Dokumentation über unseren ehemaligen Betrieb), „Ein Venezianer in Pirna“ (2009) (ein Film über das mittelalterliche und jetzige Pirna anhand der Veduten Canalettos) oder „Mach dein Licht an“ (2009) (ein Film, der Pirna vor dem Wiederaufbau nach der Wende an Hand von Archivfilmen zeigt) – für mich ein sehr wertvolles Zeitdokument.
2010 drehte „Seven –Years-Film anlässlich des 25jährigen Wiederaufbaus der Semperoper den Film „Ein winziges Stück Semperoper ist dir anvertraut“, für mich ein beeindruckender Film, weil er Menschen zeigt, die den Traum hatten die Semperoper aufzubauen und eine Gruppe Filmer, die das dokumentarisch festgehalten hat, nämlich wir – Werner Reichelt, Eberhard Walther, Johannes Kegel, Helfried Marx, Waltraud Marx, Gudrun Gimm und Manfred Wittig. Wir lebten zwar in einer Diktatur mit vielen Unfreiheiten, gingen aber trotzdem mit Lust und Leidenschaft unserer Arbeit und unseren Hobbys nach und haben auch das Recht darauf stolz zu sein. Von 2009 bis 2011 erhielten wir den Auftrag des Landratsamtes den Wiederaufbau des Schlosses Pirna-Sonnenstein zu dokumentieren und in der Folge die Rekonstruktion der Terrassengärten unterhalb des Schlosses im Film festzuhalten.
Einen Einschnitt in das Clubleben trat am 13. April 2016 ein, unser langjähriger und verdienstvoller Studioleiter Werner Reichelt erlag nach langer schwerer Krankheit seinem Leiden. Man sagt zwar immer, jeder ist ersetzbar, bei Werner fällt das sehr schwer, da sein ganzes Leben auf das Filmen zugeschnitten war, und er uns umhegte wie eine Glucke seine Küken. Auch unser langjähriger Tonspezialist Helfried Marx ist verstorben.
Trotzdem haben wir unter der Leitung von Jörg Viol die Filmarbeit weitergeführt. Wir haben wieder einmal unser Domizil gewechselt und sind in der Wohnung von Eberhard Walther untergekommen. In der Zwischenzeit haben wir fast alle gedrehten Filme digitalisiert und archiviert und unter seiner Leitung sehenswerte Filme hergestellt. Wir haben innerhalb der 65 Jahre ca 200 Filme gedreht und uns immer als Chronist der Zeit verstanden. Wir haben auf unserem langen Weg des Amateurfilms wertvolle Menschen wie Thomas Schlechte, Monika Paternoga, Sissi Gaidos, Aini Teufel und Hans Hickisch kennengelernt, die uns immer mit Rat und Tat zur Seite standen. Ich kann leider nicht alle aufzählen, das würde mein Erinnerungsschreiben sprengen.
Bei allen möchte ich mich heute bedanken und natürlich auch bei allen Studiomitgliedern. Lasst uns ein Schlückchen auf das Wohl aller, die uns lieb und teuer sind trinken und hoffen, dass bald das Gespenst „Corona“ vergessen werden kann und vielleicht noch ein paar Filme entstehen.
Dankeschön
Gudrun Gimm
Stellv. Vorsitzende des PFVC